AUS DER STILLE - EXPOSÉ NOV 2020
Ein Dokumentarfilm über den Kampf gegen die Verstummung.
ALS-Patient*INNen kämpfen mit dem Schicksal des Completely-Locked-In Syndroms.
Ein Forscher könnte helfen, kämpft aber gegen seinen wissenschaftlichen Untergang.
Die Krankheit ALS ist ein qualvoller Abstieg in die absolute Einsamkeit. Am Ende bleibt das wache Gehirn in einem vollständig gelähmten Körper - ohne jede Möglichkeit sich nach außen mitzuteilen.
Wie geht man mit dieser Diagnose um?
Was macht das Leben lebenswert, wenn man nicht mehr daran teilnimmt?
Was, wenn wenigstens die Kommunikation bleiben könnte? Wenn das Gehirn irgendwie gelesen werden könnte?
Warum vernachlässigen wir im Fiebertraum der Mensch-Maschine-Utopie komplett jene, denen wir mit den heutigen Gehirn-Computer Schnittstellen längst helfen könnten?
Was, wenn ein Wissenschaftler eine Lösung hätte gegen die totale Verstummung?
Wenn aber seine Karriere in Trümmern liegt und ihm keiner mehr glaubt?
pw: stille
Aus der Stille findet parallel auf drei Ebenen statt:
Auf der ersten Erzählebene wird der Hirnforscher Niels Birbaumer portraitiert, insbesondere seine Arbeit für ALS-Patient*innen und der damit zusammenhängende Wissenschaftsskandal.
Auf der zweiten Erzählebene begleiten wir ALS Patient*innen beim Leben mit der Diagnose.
Auf der dritten Ebene erforschen wir in audiovisuellen Montagen das Schicksal des Locked-In-Syndroms.
Diese Ebenen ergänzen sich im Schnitt zu einem erzählerischen Fluß, der manchmal klassisch beschreibend, manchmal künstlerisch den Film voran treibt. Die beiden Lebensgeschichten laufen dabei metaphorisch invers zueinander: der Forscher befreit sich aus seinem wissenschaftlichen ‘Locked-In’ Zustand, während unsere Patient*innen sich mit der unvermeidlich bevorstehenden Zukunft der körperlichen Eingeschlossenheit abfinden müssen. Verbunden sind sie alle durch Birbaumers Forschung, mit der er die letzendlich vollkommene Eingeschlossenheit der Patient*innen abwenden könnte - wenn er nur wieder praktizieren dürfte.
Unser Film beginnt mit einer Erinnerung aus glücklichen Tagen. Vielleicht die eines jungen Mädchens bei einer Tanzvorführung. Die Stimme einer jungen Frau erzählt von dieser Erinnerung, dann sehen wir sie in der Gegenwart - im Rollstuhl. Sie hat ALS. Sie wird sich immer weniger bewegen können. Vielleicht ist der Patient auch männlich, war leidenschaftlicher Athlet? Sicher ist: Sie alle treibt eine Frage um. Wieviel vom Leben kann ich gehen lassen, bevor ich es nicht mehr will? Wenn das Tanzen weg ist, wenn irgendwann alles weg ist, das Atmen, das Sehen - wenn am Ende sogar die Kommunikation weg ist. Wäre das Leben es wert, solange man sich nur mitteilen könnte, solange nur diese letzte vollständige Eingeschlossenheit nicht käme?
Schnitt auf: Venedig. Ein älterer Herr geht durch die Gassen. DIE ZEIT nennt Niels Birbaumer einen der berühmtesten Wissenschaftler Deutschlands. Und nach einer langen, schillernden Karriere, hat Birbaumer die letzten Jahre der Forschung an ALS gewidmet: „ALS ist die Abkürzung für ‚amyotrophe Lateralsklerose‘. Man muss sich das so vorstellen: das hier…“, er tippt sich an die Stirn,“…ist die Schaltzentrale. Die sagt: Finger bewegen, Bein nach vorne, und so weiter. Und dann - das ist eine Sache von Millisekunden - gehen die Vasallen los und tragen die Befehle weiter. Und bei ALS - da sterben Dir die Vasallen weg. Das heißt, hier oben, da wird noch befohlen, aber da und hier und dort - da gehorcht nichts mehr. Irgendwann geht die Sprache weg. Und dann gehen die Augen zu. Aber das hier…“ wieder weist er auf seinen Kopf „…ist noch da!”
Während Birbaumer redet, sehen wir Aufnahmen der Patienten im Alltag: Jemand am Anfang der Diagnose, noch mit einem 'normalen' Leben, von unbekannter Restdauer. Jemand im fortgeschrittenen Stadium, im Rollstuhl, bei der Benützung fortschrittlichster technischer Hilfsmittel. Wir lernen das Leben mit ALS in seinen Facetten kennen. Dann sagt Birbaumer: „Irgendwann hab ich gedacht, die können nicht mehr tanzen, klar, aber ans Tanzen denken können sie ja noch. Vielleicht können wir damit was machen, mit dem was da im Hirn passiert. Weil es ging mir ja immer nur darum, dass man mit dem, was ich da heraus finde, auch was anstellen kann!“
Eine Rückblende, Interviews mit Weggefährten Birbaumers. Wer ihn kennenlernt, kann sich schnell vorstellen, dass Niels Birbaumer weder Konflikte noch unorthodoxe Methoden scheut. Als Jugendlicher stiehlt er in Wien Autoradios, fliegt wegen Gewalt von der Schule. Der Vater steckt ihn in eine Polsterer-Lehre. Er erbettelt sich eine zweite Chance und schafft es bis zur Doktorarbeit (deren Umgang mit Blinden ihm später Misshandlungsvorwürfe einbringen wird). Dann fliegt er wegen Studentenprotesten von der Wiener Universität, emigriert nach London und wird zu einer internationalen Koryphäe der biologischen Psychologie. Er forscht - mitunter kontrovers - an Psychopathen. Auf einem Kongress sagt er: “Leider können wir an den wirklich fähigen Psychopathen nicht forschen, weil die sitzen nicht im Gefängnis, sondern in den Chefetagen.” Schließlich kommt er als Professor nach Tübingen und beginnt sich der Krankheit ALS zu widmen.
Wir folgen eine*r neuen Patient*in bei der Bewältigung der Diagnose. So lange ist das noch gar nicht her, da hatte sie nur Schmerzen im linken Arm, der manchmal ein bisschen zitterte. Experten erklären ihr (und uns) was genau mit ihr passiert. Und was passieren wird. Wir fragen: Wie stellt sie sich das vor, am Ende vollkommen eingeschlossen zu sein? Abstrakte Bilder fangen ihre Vorstellungen ein und kommen als visuelle Erzählebene immer wieder zurück im Film. Wir erfahren in der gemeinsamen Recherche mit der jungen Frau: die meisten Patienten entscheiden sich gegen lebensverlängernde Maßnahmen. Spätestens wenn die Lunge versagt. Manche gehen in die Schweiz und beenden die Sache schon früher. Aber manche sehen das anders: Wir treffen eine*n Patient*in im fortgeschrittenen Stadium, d*ie sich das Leben schön und lebenswert vorstellen kann, solange es nur den kommunikativen Austausch gibt. Solange sie ihren Liebsten zuhören und ihnen antworten kann. Doch das Endstadium von ALS macht auch diese letzte Lebensqualität zunichte. Am Ende wartet das Completely-Locked-In Syndrom. Und da zieht auch sie den Strich. Ganz allein sein, niemandem etwas sagen können, das wäre wie ein Albtraum ohne Aufwachen.
Hier kommt der Film unweigerlich zurück zu Birbaumer. 2017 veröffentlicht sein Team eine Sensation: Man könne mit Hilfe eines Scans bei vollkommen gelähmten ALS-Patienten im Gehirn ein Ja von einem Nein entscheiden - der Sieg über die Verstummung! Bis zu diesem Zeitpunkt war alles, was mit Menschen in diesem Stadium passiert, reine Spekulation. Zerfällt das Bewusstsein, wenn es nur noch aufnehmen aber nicht mehr absenden kann? Werden wir verrückt? Stirbt das Gehirn langsam? Birbaumers Antwort: Nein! (Und ganz nebenbei hält er die Bewusstseinsforschung für eine fehlgeleitete Katastrophe.) Er sagt: Wir bleiben komplett zurechnungsfähig, auch nach Jahren dieses Zustands. Und mit dem neuen System können wir uns wieder mitteilen!
Doch die Sensation wird zum Skandal. Ein junger Informatiker entdeckt Fehler in der Methode, geht zu seinen Vorgesetzten - und wird mundtot gemacht. Birbaumer selbst soll den Doktoranden massiv eingeschüchtert haben. Der Ombudsmann, als sichere Anlaufstelle für Whistleblower gedacht, droht dem jungen Mann: wenn Du damit weiter machst, ist deine Karriere hier vorbei. Du wirst nie wieder in der Wissenschaft Fuß fassen. Aber der Informatiker kann seine Bedenken nicht einfach vergessen, schließlich geht es hier letztendlich um Menschenleben. Und so werden die Vorwürfe gegen Birbaumer schließlich öffentlich. Die Deutsche Forschungsgesellschaft beruft einen Untersuchungsausschuss ein - und kommt zu einem vernichtenden Ergebnis. Wegen wissenschaftlichem Fehlverhalten wird Birbaumer für fünf Jahre von jeglicher Förderung ausgeschlossen. Er verliert seinen Posten an der Universität, ihm soll seine Rente aberkannt werden. Das Forschungsprogramm wird eingestellt, manche von Birbaumers Patienten sterben in den folgenden Jahren.
Der Zustand einer Patientin verschlechtert sich, wir begleiten sie auf ihrem Weg. Natürlich hat sie von Birbaumer gehört. Wir bereiten ein Treffen zwischen den beiden vor. Sie vergleicht sich immer öfter mit Stephen Hawking, dem berühmtesten aller ALS Patienten. Aber wird ihr das gleiche Glück im Unglück bleiben wie Hawking, der noch jahrzehntelang, bis zu seinem Tod, kommunizieren konnte? Ist der Arzt Birbaumer ein anderer, einfühlsamerer Mensch als der lauthalse, urteilende Wissenschaflter Birbaumer?
Wir sind wieder in Venedig. Birbaumer ist nach dem Skandal hierher gezogen, arbeitet jetzt als Fremdenführer. Er scheint sich in seinem Exil gut eingerichtet zu haben. Auch etwas anderes stimmt ihn positiv. Während in Deutschland der Skandal alles verschlang, kam aus der Schweiz ein Angebot: Birbaumer testet seine Methode noch an einem letzten ALS Patienten. Mit einer wesentlich aufwändigeren, riskanteren, teureren, aber technisch eindeutigen Gehirnsonde.
Der Beweis gelingt: der Patient kann sich wieder mitteilen. Die Ergebnisse sind beim international führenden Journal Nature zur Veröffentlichung eingereicht. Parallel kämpft Birbaumer gegen seinen Ausschluss, den er als Intrige versteht. Er verklagt die Forschungsgesellschaft, verlangt eine Rehablitation. Denn er will seine Forschungsarbeit noch einmal aufnehmen und sein ausdrückliches Ziel noch zu erreichen: ein simples, erschwingliches Gerät, mit dem Angehörige selbst, ohne Spezialisten, wieder mit ihren Geliebten kommunizieren können.
Schließlich treffen sich die beiden. Er erklärt seine Methode und was passieren muss, damit er helfen kann. Birbaumer arrangiert ein besonderes Treffen: der Patient im Anfangsstadium trifft Felix, den Patienten mit der Gehirnsonde. Über die Schnittstelle unterhalten sich die beiden miteinander: Wie ist das für dich? Soll ich am Leben fest halten? Ist es das wert? Und wie war es in der Zeit ohne diesen Apparat? Würde Felix denn leben wollen, wenn er sich nicht mitteilen könnte?
Ab hier wird die Zukunft den Ausgang unseres Films bestimmen. Der Gerichtsprozess beginnt diesen Herbst - wie wird er enden? Kann Birbaumer seinen Ruf wiederherstellen und noch einmal ein groß angelegtes Projekt finanzieren um seine Arbeit zu beenden? Oder wird er sich mit seinem Schicksal abfinden müssen und Anderen, Jüngeren das Feld überlassen? Eine Wissenschaftlerin aus Dänemark hat bereits einige seiner Patienten übernommen und führt die Forschung fort. Und am wichtigsten: Haben unsere Patient*innen noch die Zeit, um auf diesen Ausgang zu warten? Denn niemand kann sagen, wie schnell ALS voranschreitet...
‘Aus der Stille’ von Simon Reichel und Eike Frederik Schulz ist ein Film über den Kampf gegen die Verstummung. Über die manchmal gnadenlose Schnittstelle von Wissenschaft und Schicksal. Über Schuld und Unschuld. Über die Frage, wo unser Leben aufhört und was unsere Seele ausmacht.
Kontakt: Simon Reichel - +4915774600729 - simon@acommonfuture.com
AUS DER STILLE - EXPOSÉ NOV 2020
Ein Dokumentarfilm über den Kampf gegen die Verstummung.
ALS-Patient*INNen kämpfen mit dem Schicksal des Completely-Locked-In Syndroms.
Ein Forscher könnte helfen, kämpft aber gegen seinen wissenschaftlichen Untergang.
Die Krankheit ALS ist ein qualvoller Abstieg in die absolute Einsamkeit. Am Ende bleibt das wache Gehirn in einem vollständig gelähmten Körper - ohne jede Möglichkeit sich nach außen mitzuteilen.
Wie geht man mit dieser Diagnose um?
Was macht das Leben lebenswert, wenn man nicht mehr daran teilnimmt?
Was, wenn wenigstens die Kommunikation bleiben könnte? Wenn das Gehirn irgendwie gelesen werden könnte?
Warum vernachlässigen wir im Fiebertraum der Mensch-Maschine-Utopie komplett jene, denen wir mit den heutigen Gehirn-Computer Schnittstellen längst helfen könnten?
Was, wenn ein Wissenschaftler eine Lösung hätte gegen die totale Verstummung?
Wenn aber seine Karriere in Trümmern liegt und ihm keiner mehr glaubt?
pw: stille
Aus der Stille findet parallel auf drei Ebenen statt:
Auf der ersten Erzählebene wird der Hirnforscher Niels Birbaumer portraitiert, insbesondere seine Arbeit für ALS-Patient*innen und der damit zusammenhängende Wissenschaftsskandal.
Auf der zweiten Erzählebene begleiten wir ALS Patient*innen beim Leben mit der Diagnose.
Auf der dritten Ebene erforschen wir in audiovisuellen Montagen das Schicksal des Locked-In-Syndroms.
Diese Ebenen ergänzen sich im Schnitt zu einem erzählerischen Fluß, der manchmal klassisch beschreibend, manchmal künstlerisch den Film voran treibt. Die beiden Lebensgeschichten laufen dabei metaphorisch invers zueinander: der Forscher befreit sich aus seinem wissenschaftlichen ‘Locked-In’ Zustand, während unsere Patient*innen sich mit der unvermeidlich bevorstehenden Zukunft der körperlichen Eingeschlossenheit abfinden müssen. Verbunden sind sie alle durch Birbaumers Forschung, mit der er die letzendlich vollkommene Eingeschlossenheit der Patient*innen abwenden könnte - wenn er nur wieder praktizieren dürfte.
Unser Film beginnt mit einer Erinnerung aus glücklichen Tagen. Vielleicht die eines jungen Mädchens bei einer Tanzvorführung. Die Stimme einer jungen Frau erzählt von dieser Erinnerung, dann sehen wir sie in der Gegenwart - im Rollstuhl. Sie hat ALS. Sie wird sich immer weniger bewegen können. Vielleicht ist der Patient auch männlich, war leidenschaftlicher Athlet? Sicher ist: Sie alle treibt eine Frage um. Wieviel vom Leben kann ich gehen lassen, bevor ich es nicht mehr will? Wenn das Tanzen weg ist, wenn irgendwann alles weg ist, das Atmen, das Sehen - wenn am Ende sogar die Kommunikation weg ist. Wäre das Leben es wert, solange man sich nur mitteilen könnte, solange nur diese letzte vollständige Eingeschlossenheit nicht käme?
Schnitt auf: Venedig. Ein älterer Herr geht durch die Gassen. DIE ZEIT nennt Niels Birbaumer einen der berühmtesten Wissenschaftler Deutschlands. Und nach einer langen, schillernden Karriere, hat Birbaumer die letzten Jahre der Forschung an ALS gewidmet: „ALS ist die Abkürzung für ‚amyotrophe Lateralsklerose‘. Man muss sich das so vorstellen: das hier…“, er tippt sich an die Stirn,“…ist die Schaltzentrale. Die sagt: Finger bewegen, Bein nach vorne, und so weiter. Und dann - das ist eine Sache von Millisekunden - gehen die Vasallen los und tragen die Befehle weiter. Und bei ALS - da sterben Dir die Vasallen weg. Das heißt, hier oben, da wird noch befohlen, aber da und hier und dort - da gehorcht nichts mehr. Irgendwann geht die Sprache weg. Und dann gehen die Augen zu. Aber das hier…“ wieder weist er auf seinen Kopf „…ist noch da!”
Während Birbaumer redet, sehen wir Aufnahmen der Patienten im Alltag: Jemand am Anfang der Diagnose, noch mit einem 'normalen' Leben, von unbekannter Restdauer. Jemand im fortgeschrittenen Stadium, im Rollstuhl, bei der Benützung fortschrittlichster technischer Hilfsmittel. Wir lernen das Leben mit ALS in seinen Facetten kennen. Dann sagt Birbaumer: „Irgendwann hab ich gedacht, die können nicht mehr tanzen, klar, aber ans Tanzen denken können sie ja noch. Vielleicht können wir damit was machen, mit dem was da im Hirn passiert. Weil es ging mir ja immer nur darum, dass man mit dem, was ich da heraus finde, auch was anstellen kann!“
Eine Rückblende, Interviews mit Weggefährten Birbaumers. Wer ihn kennenlernt, kann sich schnell vorstellen, dass Niels Birbaumer weder Konflikte noch unorthodoxe Methoden scheut. Als Jugendlicher stiehlt er in Wien Autoradios, fliegt wegen Gewalt von der Schule. Der Vater steckt ihn in eine Polsterer-Lehre. Er erbettelt sich eine zweite Chance und schafft es bis zur Doktorarbeit (deren Umgang mit Blinden ihm später Misshandlungsvorwürfe einbringen wird). Dann fliegt er wegen Studentenprotesten von der Wiener Universität, emigriert nach London und wird zu einer internationalen Koryphäe der biologischen Psychologie. Er forscht - mitunter kontrovers - an Psychopathen. Auf einem Kongress sagt er: “Leider können wir an den wirklich fähigen Psychopathen nicht forschen, weil die sitzen nicht im Gefängnis, sondern in den Chefetagen.” Schließlich kommt er als Professor nach Tübingen und beginnt sich der Krankheit ALS zu widmen.
Wir folgen eine*r neuen Patient*in bei der Bewältigung der Diagnose. So lange ist das noch gar nicht her, da hatte sie nur Schmerzen im linken Arm, der manchmal ein bisschen zitterte. Experten erklären ihr (und uns) was genau mit ihr passiert. Und was passieren wird. Wir fragen: Wie stellt sie sich das vor, am Ende vollkommen eingeschlossen zu sein? Abstrakte Bilder fangen ihre Vorstellungen ein und kommen als visuelle Erzählebene immer wieder zurück im Film. Wir erfahren in der gemeinsamen Recherche mit der jungen Frau: die meisten Patienten entscheiden sich gegen lebensverlängernde Maßnahmen. Spätestens wenn die Lunge versagt. Manche gehen in die Schweiz und beenden die Sache schon früher. Aber manche sehen das anders: Wir treffen eine*n Patient*in im fortgeschrittenen Stadium, d*ie sich das Leben schön und lebenswert vorstellen kann, solange es nur den kommunikativen Austausch gibt. Solange sie ihren Liebsten zuhören und ihnen antworten kann. Doch das Endstadium von ALS macht auch diese letzte Lebensqualität zunichte. Am Ende wartet das Completely-Locked-In Syndrom. Und da zieht auch sie den Strich. Ganz allein sein, niemandem etwas sagen können, das wäre wie ein Albtraum ohne Aufwachen.
Hier kommt der Film unweigerlich zurück zu Birbaumer. 2017 veröffentlicht sein Team eine Sensation: Man könne mit Hilfe eines Scans bei vollkommen gelähmten ALS-Patienten im Gehirn ein Ja von einem Nein entscheiden - der Sieg über die Verstummung! Bis zu diesem Zeitpunkt war alles, was mit Menschen in diesem Stadium passiert, reine Spekulation. Zerfällt das Bewusstsein, wenn es nur noch aufnehmen aber nicht mehr absenden kann? Werden wir verrückt? Stirbt das Gehirn langsam? Birbaumers Antwort: Nein! (Und ganz nebenbei hält er die Bewusstseinsforschung für eine fehlgeleitete Katastrophe.) Er sagt: Wir bleiben komplett zurechnungsfähig, auch nach Jahren dieses Zustands. Und mit dem neuen System können wir uns wieder mitteilen!
Doch die Sensation wird zum Skandal. Ein junger Informatiker entdeckt Fehler in der Methode, geht zu seinen Vorgesetzten - und wird mundtot gemacht. Birbaumer selbst soll den Doktoranden massiv eingeschüchtert haben. Der Ombudsmann, als sichere Anlaufstelle für Whistleblower gedacht, droht dem jungen Mann: wenn Du damit weiter machst, ist deine Karriere hier vorbei. Du wirst nie wieder in der Wissenschaft Fuß fassen. Aber der Informatiker kann seine Bedenken nicht einfach vergessen, schließlich geht es hier letztendlich um Menschenleben. Und so werden die Vorwürfe gegen Birbaumer schließlich öffentlich. Die Deutsche Forschungsgesellschaft beruft einen Untersuchungsausschuss ein - und kommt zu einem vernichtenden Ergebnis. Wegen wissenschaftlichem Fehlverhalten wird Birbaumer für fünf Jahre von jeglicher Förderung ausgeschlossen. Er verliert seinen Posten an der Universität, ihm soll seine Rente aberkannt werden. Das Forschungsprogramm wird eingestellt, manche von Birbaumers Patienten sterben in den folgenden Jahren.
Der Zustand einer Patientin verschlechtert sich, wir begleiten sie auf ihrem Weg. Natürlich hat sie von Birbaumer gehört. Wir bereiten ein Treffen zwischen den beiden vor. Sie vergleicht sich immer öfter mit Stephen Hawking, dem berühmtesten aller ALS Patienten. Aber wird ihr das gleiche Glück im Unglück bleiben wie Hawking, der noch jahrzehntelang, bis zu seinem Tod, kommunizieren konnte? Ist der Arzt Birbaumer ein anderer, einfühlsamerer Mensch als der lauthalse, urteilende Wissenschaflter Birbaumer?
Wir sind wieder in Venedig. Birbaumer ist nach dem Skandal hierher gezogen, arbeitet jetzt als Fremdenführer. Er scheint sich in seinem Exil gut eingerichtet zu haben. Auch etwas anderes stimmt ihn positiv. Während in Deutschland der Skandal alles verschlang, kam aus der Schweiz ein Angebot: Birbaumer testet seine Methode noch an einem letzten ALS Patienten. Mit einer wesentlich aufwändigeren, riskanteren, teureren, aber technisch eindeutigen Gehirnsonde.
Der Beweis gelingt: der Patient kann sich wieder mitteilen. Die Ergebnisse sind beim international führenden Journal Nature zur Veröffentlichung eingereicht. Parallel kämpft Birbaumer gegen seinen Ausschluss, den er als Intrige versteht. Er verklagt die Forschungsgesellschaft, verlangt eine Rehablitation. Denn er will seine Forschungsarbeit noch einmal aufnehmen und sein ausdrückliches Ziel noch zu erreichen: ein simples, erschwingliches Gerät, mit dem Angehörige selbst, ohne Spezialisten, wieder mit ihren Geliebten kommunizieren können.
Schließlich treffen sich die beiden. Er erklärt seine Methode und was passieren muss, damit er helfen kann. Birbaumer arrangiert ein besonderes Treffen: der Patient im Anfangsstadium trifft Felix, den Patienten mit der Gehirnsonde. Über die Schnittstelle unterhalten sich die beiden miteinander: Wie ist das für dich? Soll ich am Leben fest halten? Ist es das wert? Und wie war es in der Zeit ohne diesen Apparat? Würde Felix denn leben wollen, wenn er sich nicht mitteilen könnte?
Ab hier wird die Zukunft den Ausgang unseres Films bestimmen. Der Gerichtsprozess beginnt diesen Herbst - wie wird er enden? Kann Birbaumer seinen Ruf wiederherstellen und noch einmal ein groß angelegtes Projekt finanzieren um seine Arbeit zu beenden? Oder wird er sich mit seinem Schicksal abfinden müssen und Anderen, Jüngeren das Feld überlassen? Eine Wissenschaftlerin aus Dänemark hat bereits einige seiner Patienten übernommen und führt die Forschung fort. Und am wichtigsten: Haben unsere Patient*innen noch die Zeit, um auf diesen Ausgang zu warten? Denn niemand kann sagen, wie schnell ALS voranschreitet...
‘Aus der Stille’ von Simon Reichel und Eike Frederik Schulz ist ein Film über den Kampf gegen die Verstummung. Über die manchmal gnadenlose Schnittstelle von Wissenschaft und Schicksal. Über Schuld und Unschuld. Über die Frage, wo unser Leben aufhört und was unsere Seele ausmacht.
Kontakt: Simon Reichel - +4915774600729 - simon@acommonfuture.com